Donnerstag, 2. Oktober 2025

Silke-Maier Witt, Ich dachte, bis dahin bin ich tot


Wenn ich mich richtig erinnere, war es ein Bericht in der SZ, der mich dazu veranlasste, das Buch zu kaufen und lesen zu wollen.

Die Zeit des RAF-Terrors  - Silke Maier-Witt gehörte zur 2.Generation - habe ich gut in Erinnerung und mir auch damals schon viele Gedanken gemacht über alle Parteien und Seiten und war immer ein bisschen unentschlossen in meiner Ausrichtung. 

Wobei die Gewalt der RAF  mich immer abgestoßen hat, die Morde sowieso und  spätestens mit den rücksichtslosen Erschießungen auch völlig unpolitischer Privatleute und Zufallspassanten Schluß war mit auch nur leisen Sympathien für die Gruppe. Ihre Motive als solche waren allerdings Themen, die viele junge Menschen umtrieben.

Aber ich will nicht über mich schreiben sondern über das Buch und wie ich es gelesen habe.

Streckenweise fand ich die - allerdings sehr selbstkritische und schonungslos sich öffnende  - Charakterdarstellung schwer auszuhalten und auch kaum nachvollziehbar. Besonders ihre Zeit in der DDR mit der geradezu sklavischen Staatstreue und SED- sowie Stasi-Mitgliedschaft machte mir Gänsehaut. Der viel spätere Einsatz als Friendensbotschafterin  in Kosovo-Kriegszeiten, ihre dortige dann wirklich radikal friedlich-mutige Art, sich  für Verständigung zwischen den Parteien einzusetzen, das Lernen der vielen neuen Sprachen … das wiederum hat mir etwas imponiert. Auch die Bereitschaft, sich mit der Opferseite auszutauschen und diese dabei Regie führen zu lassen. Aber ich möchte hier gar nicht zu sehr auf Einzelheiten eingehen.

Nebenbei habe ich viel parallel nachgelesen, was aus den anderen Mitgliedern der RAF geworden ist. Es gibt dazu eine Wikipedia-Auflistung. Viele leben auch heute noch; es finden sich sehr unterschiedliche Wege, mit der Vergangenheit umgegangen zu sein.

 Im Anhang des Buches findet sich  ebenfalls eine Aufstellung der beteiligten Personen und ihrer Werdegänge sowie auch Stellungnahmen von Opfer-Angehörigen und einem Bruder von Silke M-W.

Die Autorin hat das Buch auf Betreiben und unter Mithilfe von Reporter André Gronewold geschrieben. Viele unterschiedliche Rezensionen finden sich dazu - gesammelt bei Perlentaucher.



Ein  “Fazit” dazu ist schwierig bis unmöglich. Was mir aber zwischenzeitlich immer wieder auf- und einfiel beim Verfolgen der Lebensberichte und Versatzstücke zu Kindheit und Jugend der Gewalttäter: Emotionale Vernachlässigung, radikale Fremdbestimmtheit mit Machtlosigkeitserfahrungen und fehlende Liebe in jungen Jahren ist schon auch u. U. ziemlich gefährlich!


Einige Zitate aus dem Buch noch:

„Von Anfang an war mein Verhältnis zu den Illegalen devot. Ich bewunderte sie, wollte alles für sie tun, was ich tun konnte, wollte von ihnen akzeptiert werden. 

.

.

Ich nehme es hin – aus heutiger Sicht habe ich mich opportunistisch, feige, um die Anerkennung der Gruppe buhlend verhalten. Eine willenlose Mitläuferin. Eine traurige Figur.“


„Der Tod der Frau bei dem Banküberfall in der Schweiz hat mir plötzlich vor Augen geführt, was wir taten. Und das wollte ich nicht mehr. Doch trotz dieser Erkenntnis habe ich auch danach in dem Widerspruch gesteckt, die Politik der RAF noch immer irgendwie richtig zu finden. Der Anspruch, »gegen den Imperialismus« kämpfen zu müssen, war schreckliche Realität und stand im Kontrast zur Tatsache, dazu selbst nicht fähig zu sein. In einer entsetzlichen Verkehrung der Werte hielt ich meine Unfähigkeit zu töten für eine Schwäche.“


„IMS heißt übrigens ganz offiziell »Inoffizieller Mitarbeiter zur politisch-operativen Durchdringung und Sicherung des Verantwortungsbereiches«. Diese drei Buchstaben »IMS« lösten damals bei mir kein Entsetzen oder moralische Bedenken aus. Ich empfand die mir übertragene Aufgabe auch nicht als Bespitzelung und war bereit, als Informelle Mitarbeiterin für das MfS zu arbeiten. Ich habe damals allerdings nicht wirklich realisiert, worauf ich mich eingelassen habe. Für mich stand im Vordergrund, dass ich nun offiziell die anderen regelmäßig besuchen konnte.“


„Während der Wende und vor allem nach meiner Verhaftung habe ich mit Schrecken festgestellt, dass ich mich zum zweiten Mal einer Ideologie verschrieben hatte. Ich konnte und wollte nicht wahrhaben, wie sehr in der DDR Zwang und Kontrollwut eingesetzt wurden, um die Illusion vom Sozialismus aufrechtzuerhalten. Wieder einmal hatte ich Zweifel nicht zugelassen, meine eigenen Gefühle nicht wahrhaben wollen und Kritik als antikommunistische Propaganda abgetan.“


„Die Einsamkeit, die Härte, die Kampfbereitschaft – all das fängt in der Haft an, von mir abzufallen. Das Gefühl, alt, grau, gefühllos, verkrampft und verhärtet zu sein, lässt nach. Ich lerne loszulassen. Da ist etwas in mir, das befreit werden und wachsen will.“




💣 🕊️

Sonntag, 28. September 2025

Heilen mit Lebensmitteln - das Kochbuch

Offenbar gibt es außer dem Kochbuch noch ein Bestseller-Basis-Themenbuch dazu. Wusste ich aber nicht als ich mir das Kochbuch digital ausgeliehen habe und das andere (oben in der Überschrift verlinkt) ist in der Onleihe nicht vorrätig.

Da hat wohl jemand genauso unvollständig Buchlizenzen eingekauft wie ich ein Buch ausgeliehen.

Aber auch im Kochbuch werden die “heilenden Lebensmittel” zunächst recht ausführlich mit allen ihren Wirkungen vorgestellt bevor die Rezepte folgen.

In puncto Theorie ist mir wie so oft nichts neu davon (Bücher über Ernährungswissen kann ich mir wohl knicken ..) aber ein paar vielversprechende unkomplizierte und lecker klingende Rezepte habe ich rauskopiert und werde mir den Bestseller nicht auch noch irgendwo suchen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich ohne ihn … die gesunde Theorie genauso unvollständig in die Praxis umsetze wie seit eh und je ;-)

🥘



Mittwoch, 24. September 2025

Guy de Maupassant, Es geht schnell, das Leben!

“Anders als E. T. A. Hoffmann und Edgar Allan Poe bedarf der Realist Maupassant für die Darstellung menschlicher Schaurigkeiten keiner dunkel dräuenden Kulissen, keiner halbverfallenen Schlösser, keiner gespenstischen Stimmungen in nächtlichen Einöden und keiner wie auch immer gearteten mysteriösen Atmosphäre. Der Wahnsinn findet bei ihm im Alltag statt.” (aus dem Nachwort von Karl-Heinz-Ott)


Beim Stöbern in der Onleihe lief es mir über den Monitor und ich hatte spontan Lust, mal wieder was von den Klassikern zu lesen. Andere Sprache, andere Themenausrichtung als bei den jetzt viel gelesenen Neuerscheinungen … da kamen mir diese Kurzgeschichten von Guy de Maupassant, von dem ich früher einige Sachen mit Begeisterung gelesen hatte, gerade recht.


Ich stelle fest: Blickwinkel, Leseempfinden, die Art des Herangehens an Inhalt, Sprache und Hintergründe  … haben sich in den vergangenen Jahrzehnten bei mir verändert. Der Fokus liegt weniger auf den streckenweise extrem dusteren Erzählinhalten als vielmehr auf Hintergründen und Geschichte. Der Blick wurde analytischer. In puncto Sprachgebrauch, Stilmitteln … erkennt das Hirn alles spontan und sofort und trennt es nie vom Inhalt des Geschehens.


Wobei einige der Inhalte relativ zeitlos sind:


Inzwischen war er alt und hatte kaum gemerkt, wie sein Leben dahinging, denn die Schule war übergangslos durchs Büro fortgesetzt worden, und an die Stelle der Schulmeister, vor denen er früher gezittert hatte, waren die Vorgesetzten getreten, vor denen er sich nicht weniger entsetzlich fürchtete. Bereits auf der Türschwelle dieser Bürodespoten fing er von Kopf bis Fuß an zu zittern; und es rührten von diesem ständigen Angsthaben auch etwas Linkisches, eine unterwürfige Haltung und seine spezielle Form von nervöser Stotterei her.

.

Nachdem er just in diesem Jahr seine dreißig Dienstjahre hinter sich gebracht hatte, war ihm am 1. Januar das Kreuz der Ehrenlegion verliehen worden, das in der militärisch durchorganisierten Verwaltung solche traurigen, an grüne Schreibunterlagen geketteten Galeerensträflinge für die lange und elende Knechtschaft – man spricht von treuen Diensten – entschädigt. (Aus der Kurzgeschichte: “In der Familie”)


Maupassants Leben ging in der Tat recht schnell … vorbei … 52jährig starb er - syphiliskrank und geistig umnachtet in einer psychiatrischen Einrichtung. 

Das sehr ausführliche Nachwort des Herausgebers Karl-Heinz-Ott fand ich insgesamt fast interessanter und lesenswerter als die Kurzgeschichten selber. Viel wurde über ihn geschrieben - wußte ich vorher auch nicht. Habe einiges dazugelernt.


Noch zwei Zitate  aus dem Nachwort:


Dieses von Maupassant:


“Ich bin der am meisten desillusionierende und desillusionierteste Mensch, den es gibt; der am wenigsten sentimentale und der am wenigsten poetische. Für mich gehört die Liebe zu den Religionen, und die Religionen gehören für mich zu den größten Dummheiten, die über die Menschheit gekommen sind.”


und noch eins vom Herausgeber:


“Auch wenn Maupassants Geschichten wie vollkommen leicht dahingeschrieben wirken, verdanken sie sich der Kunst einer Kunstlosigkeit, die sich den Anschein des Mühelosen gibt. Zu weiten Teilen kommen sie mit einem Wortschatz aus, den jedes Kind kennt. Dabei vermag Maupassant wie kaum ein anderer Schriftsteller mit zwei, drei schlichten Eingangsätzen – bei einem Maler würde man sagen: mit wenigen Pinselstrichen – eine Stimmung zu erzeugen, die uns sofort in diese Welt hineinzieht. Mit größtmöglicher sprachlicher Ökonomie erzählt er lediglich das Nötigste. Umwege und Nebenschauplätze kennen seine Geschichten ebenso wenig wie gedankliche Abschweifungen und retardierende Momente. Und ganz anders als das Gros jener Kurzgeschichten, die im 20. Jahrhundert geschrieben werden, wollen sie auch nie rätselhaft oder bedeutsam wirken. Ihre Spannung verdankt sich nichts Enigmatischem, sondern reiner Transparenz. Jeder Satz ist wie klares Wasser, ohne alles Geheimnistuerische und Anspielungsverliebte.”



🇫🇷



Montag, 22. September 2025

Clare Pooley, Wie man würdelos altert

Dieser Titel … *schmacht* … er trifft bei mir ohne Umweg ins Schwarze meines Herzens! Genau wie seine Grundaussage: 

“alt” ist nicht gleichzusetzen mit langweilig, moralinsauer oder geschlechts- und schwunglos. Was für eine tolle Idee, gleich ein ganzes Grüppchen mehr oder wenig zufällig aneinander geratener völlig unterschiedlicher “Senioren” (wie man sie sich unter diesem Begriff ganz sicher nicht vorstellt) mit all ihren Macken und Altlasten aufeinandertreffen und nach knirschenden Annäherungen nicht ohne Verluste gemeinsam ziemlich starke Sachen aushecken zu lassen.

Dabei Themen wie Vereinsamung, Verarmung, Eheproblematiken, unsichtbar werden in der Gesellschaft, Generationenkonflikte incl. deren Überwindung,  Vorurteile auch untereinander etc. nicht auszulassen bei aller Komik bis hin zum Klamauk.

Mit der “Würde” hatte ich noch nie einen engeren Vertrag und je älter desto weniger Lust auf freiwillige Stöcke im A… sondern im Gegenteil mehr und mehr Lust darauf, die viel stärker gefühlte als gelebte Eigenexzentrik auch rauszulassen … also ganz mein Thema. 

Somit verzeihe ich auch gerne, dass die Sprache für meinen Geschmack hier und da ziemlich hakelig und nicht immer sprachlich unanfechtbar daherkam. Einiges vielleicht auch der Übersetzung geschuldet. Aber man liest sich erstens ein und möchte zweitens wissen, wie die irre Geschichte weiter- und ausgeht.


🤘🏻 👵🏻 👴🏻 🎸

Donnerstag, 18. September 2025

Caroline Wahl, Windstärke 17

Nach dem letzten für mich gefühlten Lesedesaster doch keine Lesepause angeschlossen sondern ganz im Gegenteil quasi nahtlos mit Caroline Wahls Roman, den man ebenfalls als “einFolgebuch” betiteln könnte, weitergelesen. Und das auch noch ziemlich flott fast durchgerutscht. Lies sich gut und angenehm lesen. 

Gut, dass die Vormerkung deutlich früher als erwartet in der Onleihe ausleihbar war. Hat gepasst und jetzt kann sich der/die nächste VormerkerIn ebenfalls über ein viel früher als erwartet zurückgegebenes und damit auch früher  als vorher  “voraussichtlich ausleihbar ab dem ..” gekennzeichnet gewesenes Buch hoffentlich auch freuen.

In diesem Fall hat es mir auch Spaß gemacht, mitzuverfolgen, wie Caroline Wahl es weitergehen lässt mit der Entwicklung ihrer schon im Roman  “22 Bahnen” auftauchenden Schwesterfigur.

Meiner Meinung nach eine gute Mischung aus Anbindung an den Vorgängerroman und Neuentwicklungen mit neuen Aspekten. Ein bisschen hatte ich beim Lesen ein mehr angenehm dahinplätscherndes Unterhaltungsgefühl. Den Stil schon zu kennen - ist er hier ein bisschen “gefälliger”? Will aber gar nicht groß analysieren sondern freue mich, einfach ohne großes TamTam eine Geschichte genossen zu haben, die mit ihrem Vorgängerroman ein gutes Gesamtpaket abgibt.


🛄


Dienstag, 16. September 2025

Mareike Fallwickl, Und alle so still


«Ich hab mich gefragt, was wäre, wenn alle Frauen sich verweigern würden», sagt Lola, und es ist wahr, sie stellt sich diese Dinge vor, beim Einschlafen und auch im Wachsein, «wenn sie nichts mehr tun würden, gar nichts, nicht zur Arbeit gehen, nicht kochen, nicht putzen, sie würden keinen Bus lenken und kein Hemd bügeln, nicht an der Supermarktkassa sitzen und keine Klasse unterrichten, sie würden einen umfassenden Stillstand erzwingen und sagen: Das sind unsere Körper, unsere allein, und wenn ihr glaubt, sie gehören euch, dann wollen wir doch mal sehen.»Als ich 2021 diese Sätze für meinen Roman «Die Wut, die bleibt» geschrieben habe, wusste ich bereits, dass darin eine weitere Geschichte, ein neues Buch steckt. — Fallwickl, Mareike. „Und alle so still.“ Rowohlt E-Book, p. 307


Dass dieses Buch eine Art Fortsetzung zu “Die Wut, die bleibt” darstellt, hatte ich mir selber gedacht schon bevor ich den Dankestext (s. Zitat) am Ende vom “Und alle so still” gelesen habe. 


Dass ich ersteren Roman so gut - geradezu bahnbrechend gut - fand, ihn auch nach dem digitalen Lesen nochmal gekauft und verschenkt habe, zeigt schon, wie hoch vermutlich meine Erwartungen an diesen Roman waren. Umso größer die Enttäuschung, ja geradezu das Entsetzen darüber, wie - für meinen Geschmack und meine Meinung - grottenschlecht die Umsetzung geraten ist.


Zuerst mal wird von verschiedenen Personen an verschiedenen Orten massiv so unappetitlich wie irgend möglich in der Gegend rumge”fickt”:


Den Ersten fickt sie gegen dreizehn Uhr. Er wartet in der Umkleide neben der Alpensauna, dritte Tür rechts. Elin geht ohne Schuhe hinunter und ohne Jacke, streift die Träger des Jumpsuits ab, da hat er schon die Hände auf ihr, greift ihr zwischen die Beine. Sie ist nass, er grinst, als wäre es sein Verdienst. — Fallwickl, Mareike. „Und alle so still.“ Rowohlt E-Book, p. 


Gerne auch in unterschiedlichst drapierte “Kotze” und Toilettenumfelder eingebunden:


… wie sie sich in der Kabine küssen und die Schwarzhaarige ihr Kleid hochschiebt, während Valentin sich bemüht, nicht mit seinen Nike-Sneakern in die Kotze zu treten. — Fallwickl, Mareike. „Und alle so still.“ Rowohlt E-Book, p. 32


Wozu das für Text, späteres Geschehen oder Aussage gut sein soll, erschließt sich mir nicht. 


Eine bemüht oder krampfig-unpassend  wirkende Metapher jagt die nächste. Jede für sich akzeptabel aber in der Häufung verkleistern sie - mit Verlaub darf ich bitte auch mal - dem Leser die erwartungsvoll geöffneten  Hirnwindungen wie heimtückische Tentakeln der Covid19-Viren 😜


… sein Rachen voll mit dem zähen Schleim von Ungesagtem — Fallwickl, Mareike. „Und alle so still.“ Rowohlt E-Book, p. 41


Ruth. «Ich hatte keine Zeit», sagt Ruth leise, beißt auf das schlechte Gewissen in ihrer Backe wie auf eine faul gewordene Nuss. — Fallwickl, Mareike. „Und alle so still.“ Rowohlt E-Book, p. 55


Jetzt schaut sie die Tasse an, blinzelt, das neue Leben, das über dem alten liegt, ist klumpig und schwer. — Fallwickl, Mareike. „Und alle so still.“ Rowohlt E-Book, p. 75


Der Gestank schmeißt sich auf Nuri wie ein kicherndes Kind, er hat es nicht kommen sehen. Er würgt heftig. — Fallwickl, Mareike. „Und alle so still.“ Rowohlt E-Book, p. 93


Uns immer wieder Kotze, Wut, dreckige Klos ..


Er schrubbt die verkrustete Kotze von der Klobrille, sticht mit der Bürste zu, bis die Brocken sich lösen, er spült und trocknet, füllt das Papier auf, in wenigen Stunden wird es wieder genauso aussehen, angespuckt und angeschissen. Vier Kondome findet er in den Kabinenecken und den Mülleimern, eines davon hatte Valentin auf seinem Schwanz. Er poliert den Wasserhahn mit dem Lappen. Aus dem Spiegel schaut ihn ein Fremder an. Er würde ihn gern umarmen. — Fallwickl, Mareike. „Und alle so still.“ Rowohlt E-Book, p. 44


Ich war mehrmals kurz davor, das Lesen ärgerlich zu beenden. Zumal gerade das erste Viertel geradezu unleserlich hakelig im Stakkato-Stil zusammengehackstückt wirkt. Eine Lesezumutung.


Mag sein, dass es ein gewollter Kunstgriff der Autorin sein sollte - für mich war’s einer ins Klo voll Kotze. Sorry. Müssen ja mal wieder raus, die beim Lesen massiv angestauten Ausscheidungsprodukte der handelnden Personen.


Warum habe ich dann doch weitergelesen? Vermutlich wirklich wegen dieses Blogs hier. Wollte auch mal einen Total-Verriss loslassen 🤭


Um der Wahrheit die Ehre zu geben: es wird im Verlauf immer weniger schlimm. Vielleicht gewöhnt frau sich auch … die Handlung ist gewollt “visionär” … aber für mich erstmal hauptsächlich bescheuert, ohne den Hauch von Anbindung an irgendwas.  Die Personen und Charaktere nervig aus der Welt gefallen, die Sicht kommt gönnerhaft-belehrend daher  … okay - ich höre auf damit. 


Das Buch hat an vielen Stellen sehr gute Bewertungen und ist auf Bestsellerlisten gelandet. Warum auch immer. Die guten Bewertungen eher nicht von Rezensentinnen (siehe Überschrift-Verlinkung). Ganz alleine bin ich mit meinem Geschmack also nicht. Wäre mir aber letztlich wurscht. Ich find’s grauenhaft. Und obwohl ich ja weiß, dass Mareike Fallwickl auch in meinen Augen unglaublich wichtig-gutes geschrieben hat … ist sie bei mir jetzt wohl erstmal durch  .. und  nicht mehr auf Merk- und Wunschlisten. Meine feministischen Tendenzen wurden auch in keiner Weise gefördert. Es kam mir häufiger die Intuition, dass - obwohl das Gegenteil beabsichtig war - dem Feminismusgedanken hier ein Bärendienst geleistet wurde.


Überhaupt ist dadurch bei mir das Bedürfnis nach einer Lesepause entstanden. Ich glaub’, ich konzentriere mich für eine Weile auf andere Hobbys.



🚽 🚾 🧻





Mittwoch, 10. September 2025

Judith W. Taschler, Über Carl reden wir morgen

Wer hätte gedacht, dass ich Freude an einem Familienepos / historischen Roman / einer Familiensaga haben könnte? Bis auf wenige frühere Ausnahmen ist sowas eher nicht mein Lesemetier und ich erinnere mich nicht, wie dieser auf meine Vormerkliste der Onleihe gekommen ist. Beim Ausleihen und Lesen des Klappentextes war ich noch skeptisch, ob ich ihn nicht nur anlesen sondern wirklich durchlesen würde. Was ich dann jedoch komplett tat.

Angesiedelt im Österreichischen Mühlviertel (und wieder ein neuer Dötzel in meiner „to see“-Liste auf GoogleMaps), historischer Hintergrund von Anfang/Mitte des 19.ten Jahrhunderts bis nicht lange nach Ende des 1. Weltkriegs und aufgebaut um die zunächst in einem kleinen Ort ansässige aber nach und nach weiter verzweigende Familie eines Müllers. 

Die Charaktere und Handlungsorte glaubwürdig, interessant und gut fühlbar.  Besonderes Augenmerk liegt immer wieder auch bei den Frauenschicksalen. Das geistige Auge sieht oft regelrecht die Verfilmung vor sich. Bin gespannt, ob es zu einer solchen kommen wird.

 Der den Titel gebende „Carl“ und besonders der Titelsatz taucht erst relativ spät im Buch auf und bildet letztlich das Bindeglied zum 2024 schon erschienenen Folgeband der Saga „Nur nachts ist es hell“

Ob ich diesen auch noch lesen werde … weiß ich noch nicht. Gegen Ende des Romans kam er mir ein bisschen … lang werdend … vor und ob das Handlungsumfeld des 2. Weltkriegs mich auch noch so fesseln kann … mal sehen … 

Letztlich liest oder guckt man solch einen Familienepos aus zwei Hauptmotiven:
  1. Wegen der dort auftauchenden und geschilderten / gespielten Menschen und weil man wissen möchte, wie es mit ihnen weitergeht.  Dieser Aspekt steht bei mir deutlich im Hintergrund. Natürlich müssen sie glaubwürdig und interessant sein, damit der andere Aspekt gut transportiert werden kann und das ist
  2. Das Handlungsumfeld: die historische Zeit mit ihren Sozialstrukturen, Besonderheiten, Vorkommnissen etc. Hier liegt - wenn es denn neugierig macht, Wissenszuwachs bietet und gut geschildert ist - mein Haupt-Lesemotiv.


🧑‍🧑‍🧒‍🧒





Sonntag, 7. September 2025

Gaea Schoeters, Das Geschenk


Das Foto zum Buch entstand in seiner „Leseumgebung“ in Österreich auf der Kaindl-Hütte, wo ich den größten Teil des recht kurzen Romans gelesen habe. 

Die recht witzige Idee - eine Elefantenplage in Berlin - zum Buch ist, wie ich aus  einer NDR-Rezension erfahren habe, durch einen echten Vorschlag des Präsidenten von Botswana an Deutschland entstanden. Es wurde daraus ein (welt)politischer Roman; angesiedelt in Deutschland. Skurril und phantastisch werden aktuelle Problematiken eingeflochten. Wie gesagt: witzige Idee, fand ich. Hatte für mich aber trotz der Kürze auch Längen und konnte mich zwar ansprechen, einbinden aber nicht direkt fesseln. Was unterschiedliche Gründe haben kann. Möglicherweise u. a. das nicht wirklich passende Ambiente beim Lesen.

Wie bin ich drauf gekommen? Gelesen hatte ich begeisterte Kritiken des ersten Romans „Trophäe“ von Gaea Schoeters und nach ihm gesucht. In der Onleihe vorgemerkt und mitbekommen, dass es einen weiteren Roman gibt. Dieser noch neu und in der Onleihe (noch) nicht erhältlich, habe ich ihn per spontanem Klickfinger als Festeinband bestellt.



🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 🐘  🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 🐘 



Donnerstag, 4. September 2025

Cecelia Ahern, Alle Farben meines Lebens

Bunt ist meine Lieblingsfarbe”  ist ein gerne meinerseits für mich verwendetes Zitat von Walter Gropius und Tucholskys “Hunger nach Farben, nach der Welt, die so weit …” stand jahrelang als “Motto” auf meiner “Chat-Visitenkarte” vor fast dreißig Jahren. Insofern kein Wunder, dass der Titel dieses Romans von Cecilia Ahern  mich sofort ansprach und zum Lesen aufforderte.

Viele wichtige und auch mich angehende, berührende Themen werden behandelt (Synästetikerin bin ich allerdings nicht): Hypersensivität, Bipolarität, Anderssein. 

Anfangs sehr sehr intensive Schilderungen von beobachtend, leicht mit Abstand bis hin zu oft bedrückend-bedrohlich. 

Irgendwo nach Mitte kam es mir vor, als würden sich Ton und Ausrichtung ändern. Zuweilen erschien mir der Brückenschlag zur Harmonie mit Drang zur romantisierenden Abgerundetheit, zum unbedingt Positiven ein wenig bemüht und rabiat-unglaubwürdig. Trotzdem ein schönes Thema mit gut lesbarer Umsetzung. Genau richtig, um es am Geburtstag zu beenden ;)



🍭

Donnerstag, 28. August 2025

Jan Weiler, Der Markisenmann

»Die Königin von Meiderich«, rief er gespreizt. »Darf ich Euer Durchlaucht eine Fanta anbieten?« Ich nickte huldvoll, und er brachte mir eine Dose Limonade. Dann setzten wir uns vor die Werkstatt und schwiegen. Das gemeinsame Schweigen als Kulturtechnik des sozialen Austauschs schien hier in der Gegend sehr verbreitet zu sein. Ich kannte das nicht. In meiner Welt wurde immer geredet, geplappert, getratscht, gemeckert oder geschrien. Wenn niemand etwas sagte, verunsicherte mich das mehr, als wenn ich nicht verstand, was geredet wurde. Dann war immerhin Ton. Aber nun stellte ich erstaunt fest, dass ich es genoss, neben Lütz auf einer alten Gartenbank zu sitzen, die kalte Fanta zu schlürfen und wie er schweigend in Richtung Lagerhalle zu blicken. Und ich verstand, dass das Schweigen nicht davon kam, dass man nicht wusste, was man sagen sollte, sondern daher, dass es einfach nichts zu sagen gab. Völlige Übereinkunft. Man sitzt da und trinkt was. Worüber soll man da noch sprechen? — Weiler, Jan. „¬Der¬ Markisenmann.“ Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, 2022-02-28T10:07:52Z, p. 55


Ein melancholisch machender aber trotzdem immer wieder heiterer Roman. Über Familie, blinde Flecken, menschliche Beziehungen und Unterschiede, Erwachsenwerden, Schuld und deren Sühne …

Von Jan Weiler habe ich vergangenes Jahr “Munk” gelesen und war davon sehr angetan (und das nicht nur, weil “Das kalte Herz” schon immer eins meiner Lieblingsmärchen war und ist ;), so dass der Markisenmann auch irgendwann auf meiner Liste landete. 

Es fiel mir schwer, zwischendurch Lesepausen zu machen. Ein schöner Roman.


🔩