Mittwoch, 24. September 2025

Guy de Maupassant, Es geht schnell, das Leben!

“Anders als E. T. A. Hoffmann und Edgar Allan Poe bedarf der Realist Maupassant für die Darstellung menschlicher Schaurigkeiten keiner dunkel dräuenden Kulissen, keiner halbverfallenen Schlösser, keiner gespenstischen Stimmungen in nächtlichen Einöden und keiner wie auch immer gearteten mysteriösen Atmosphäre. Der Wahnsinn findet bei ihm im Alltag statt.” (aus dem Nachwort von Karl-Heinz-Ott)


Beim Stöbern in der Onleihe lief es mir über den Monitor und ich hatte spontan Lust, mal wieder was von den Klassikern zu lesen. Andere Sprache, andere Themenausrichtung als bei den jetzt viel gelesenen Neuerscheinungen … da kamen mir diese Kurzgeschichten von Guy de Maupassant, von dem ich früher einige Sachen mit Begeisterung gelesen hatte, gerade recht.


Ich stelle fest: Blickwinkel, Leseempfinden, die Art des Herangehens an Inhalt, Sprache und Hintergründe  … haben sich in den vergangenen Jahrzehnten bei mir verändert. Der Fokus liegt weniger auf den streckenweise extrem dusteren Erzählinhalten als vielmehr auf Hintergründen und Geschichte. Der Blick wurde analytischer. In puncto Sprachgebrauch, Stilmitteln … erkennt das Hirn alles spontan und sofort und trennt es nie vom Inhalt des Geschehens.


Wobei einige der Inhalte relativ zeitlos sind:


Inzwischen war er alt und hatte kaum gemerkt, wie sein Leben dahinging, denn die Schule war übergangslos durchs Büro fortgesetzt worden, und an die Stelle der Schulmeister, vor denen er früher gezittert hatte, waren die Vorgesetzten getreten, vor denen er sich nicht weniger entsetzlich fürchtete. Bereits auf der Türschwelle dieser Bürodespoten fing er von Kopf bis Fuß an zu zittern; und es rührten von diesem ständigen Angsthaben auch etwas Linkisches, eine unterwürfige Haltung und seine spezielle Form von nervöser Stotterei her.

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Nachdem er just in diesem Jahr seine dreißig Dienstjahre hinter sich gebracht hatte, war ihm am 1. Januar das Kreuz der Ehrenlegion verliehen worden, das in der militärisch durchorganisierten Verwaltung solche traurigen, an grüne Schreibunterlagen geketteten Galeerensträflinge für die lange und elende Knechtschaft – man spricht von treuen Diensten – entschädigt. (Aus der Kurzgeschichte: “In der Familie”)


Maupassants Leben ging in der Tat recht schnell … vorbei … 52jährig starb er - syphiliskrank und geistig umnachtet in einer psychiatrischen Einrichtung. 

Das sehr ausführliche Nachwort des Herausgebers Karl-Heinz-Ott fand ich insgesamt fast interessanter und lesenswerter als die Kurzgeschichten selber. Viel wurde über ihn geschrieben - wußte ich vorher auch nicht. Habe einiges dazugelernt.


Noch zwei Zitate  aus dem Nachwort:


Dieses von Maupassant:


“Ich bin der am meisten desillusionierende und desillusionierteste Mensch, den es gibt; der am wenigsten sentimentale und der am wenigsten poetische. Für mich gehört die Liebe zu den Religionen, und die Religionen gehören für mich zu den größten Dummheiten, die über die Menschheit gekommen sind.”


und noch eins vom Herausgeber:


“Auch wenn Maupassants Geschichten wie vollkommen leicht dahingeschrieben wirken, verdanken sie sich der Kunst einer Kunstlosigkeit, die sich den Anschein des Mühelosen gibt. Zu weiten Teilen kommen sie mit einem Wortschatz aus, den jedes Kind kennt. Dabei vermag Maupassant wie kaum ein anderer Schriftsteller mit zwei, drei schlichten Eingangsätzen – bei einem Maler würde man sagen: mit wenigen Pinselstrichen – eine Stimmung zu erzeugen, die uns sofort in diese Welt hineinzieht. Mit größtmöglicher sprachlicher Ökonomie erzählt er lediglich das Nötigste. Umwege und Nebenschauplätze kennen seine Geschichten ebenso wenig wie gedankliche Abschweifungen und retardierende Momente. Und ganz anders als das Gros jener Kurzgeschichten, die im 20. Jahrhundert geschrieben werden, wollen sie auch nie rätselhaft oder bedeutsam wirken. Ihre Spannung verdankt sich nichts Enigmatischem, sondern reiner Transparenz. Jeder Satz ist wie klares Wasser, ohne alles Geheimnistuerische und Anspielungsverliebte.”



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