Samstag, 10. Mai 2025

Nana Oforiatta Ayim, Wir Gotteskinder


Ein irgendwie sehr “intimes” Buch, eine Art “Autofiktionale Erzählung” von Nana Oforiatta Ayim aus vielen Welten und Zwischenwelten, (auch Deutschland gehört dazu)  so kam es mir vor. Kulturgrenzen, Kulturschnittstellen, neue Kulturen in und aus alten. Traditionelles erhalten, neues erschaffen.

Viele Themen greifen hier ineinander und beim Lesen weiß man, dass sich in diesen Themen und Kulturen wie bei einer russischen Puppe mit Puppen in der Puppe immer weitere Themen noch verstecken und nur manchmal zu erahnen sind.

Es geht um ein Leben, das zwischen sehr unterschiedlichen (Kultur)Welten hin und herwechselt, um eine ganz eigene Sicht auf die Kolonialisierungszeit der Afrikanischen bzw. Ghanaischen Geschichte.

Inhaltlich erzählen möchte ich nicht weil ich denke, es würde verfälschen, wenn ich es mit meinen Worten wiederzugeben versuchte. Ans Ende stelle ich wieder einige Zitate aus dem Buch*.

Wie bin ich drauf gekommen? Konkret weiß ich das gar nicht mehr. Lese aber schon seit längerem immer mal gerne auch über den kulturellen und eigenen thematischen Tellerrand hinaus. Spätestens, seit ich 2024 die Essays in “Anders bleiben” (Hrsg. Selma Wels) gelesen habe. Konkret also nicht Bücher “über” andere Kulturen und kulturelle Grenzthemen sondern “von” Menschen - gerne Frauen - aus anderen oder mehreren kulturellen Weltecken. 

Stelle dabei immer mal wieder fest, wie nochmal schwerer es dabei ist, zumindest beim Lesen erstmal wert- und urteilsfrei zu bleiben. Eine Haltung, die ich als sehr gewinnbringend erkannt habe. Die aber umso schwerer durchzuhalten ist, je weiter die Erlebens- und Gedankenwelten der schreibenden Personen von den eigenen verinnerlichten “Wahrheiten” entfernt zu sein scheinen. Da knirscht es innerlich zuweilen schon ordentlich und es gehört ein größerer Schritt in den Zuschauerabstand dazu. Der sich immer lohnt!

Es liest sich besonders, dicht, nah und auch spannend. Hier noch einige Zitate daraus:


Ich war nicht länger ich, sondern ein kleines Mädchen, die Tochter von Yaa, die Enkelin von Gyata und die Cousine von Kojo, dem aufgehenden, wichtigsten Stern der Familie. Während ich so händeschüttelnd an den Menschen vorbeischritt, versuchte ich, die Rolle zu spielen, die diese spezielle Geschichte mir zugewiesen hatte, und wusste, dass die von mir Begrüßten mich als eine der ihren ansahen, eine, die durch Geburt die Hierarchie der Regeln und Sitten kannte, und als Außenseiterin, unvertraut mit deren tieferer Bedeutung. Als wir beim König ankamen, waren meine Wangen verkrampft vom Lächeln, das Korsett meines Kleids eng vom ständigen Verbeugen. Der Raum war heiß und schwül vor starrenden Blicken; ich sehnte mich danach, in einem klaren kühlen Fluss zu schwimmen. Kojo sagte etwas zu dem Mann mit dem goldenen Stab, der sich zum König hinunterbeugte und flüsterte. Kojo wurde nun lauter, sodass ich es hören konnte: »Das ist Maya, die Tochter von Yaa, die Enkelin des Löwen, unsere Schwester.« Der Mann mit dem Stab beugte sich wieder hinunter und flüsterte dem König etwas ins Ohr. Der König nickte langsam und kaum merklich. Ich trat vor und knickste. Machte man das? Ich wendete mich zu Kojo. »Zieh deine Schuhe aus«, raunte er. Ich schlüpfte aus meinen Plateauschuhen und beugte den Kopf. Als ich wieder aufsah, lächelte der König. »Unsere Schwester«, sagte er leise. »Unsere Schwester«, wiederholte der Mann mit dem Stab. — Oforiatta Ayim, Nana. „Wir Gotteskinder.“ Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, 2020-12-18T11:41:03Z, p. 141


»Du lachst, aber es ist nicht zum Lachen. Unser äußerst wichtiges Schwert, unsere Krone, unser Königsschemel – die ganzen Schlüssel zur Macht unseres Königreichs – rotten vor sich hin in den Verliesen von Museen, von Sammlern, irgendwo in Abrokyere, ohne dass man von ihrem spirituellen Wert weiß. Und du wunderst dich, dass unsere Macht geschwunden ist? Dass unser Land sich in den eigenen Schwanz beißt?« Er schrie, so laut er konnte, und das Tempo des Autos machte mich schwindlig. — Oforiatta Ayim, Nana. „Wir Gotteskinder.“ Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, 2020-12-18T11:41:03Z, p. 147


… »Die Welt, in der du aufgewachsen bist …« »Du bist auch dort aufgewachsen.« »… bringt dir bei, dass die materielle Welt um dich herum alles ist, was existiert. Hier wissen wir, dass unsere Ahnen mit uns leben, dass die Grenze, die die Lebenden und die Toten voneinander trennt, nicht existiert.« »Und findest du es nicht ein wenig altmodisch, das ganze Verbeugen und Katzbuckeln vor einer Person?« »Altmodisch? Du hältst Geschichte für altmodisch? Du hältst Fundamente für altmodisch? Du hältst das kulturelle Erbe für altmodisch? Die Menschen kehren heim. Sie legen ihren Streit bei. Sie begegnen sich und fangen an, sich selbst und einander wieder kennenzulernen. Sie lernen. Die Ältesten geben ihr Wissen an die Jungen weiter. Ich habe fast alles, was ich weiß, bei den afahyε gelernt. Du weißt das. Man sagt uns, wir hätten keine Geschichte, wir wären Bäume, die ohne Wurzeln aus der Erde wachsen, und hier rufen wir es zum Himmel und strecken unsere Äste aus, wohin sie angeblich nicht wachsen können. Und das nennst du altmodisch?« — Oforiatta Ayim, Nana. „Wir Gotteskinder.“ Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, 2020-12-18T11:41:03Z, p. 147


Mein Großvater hatte alle seine dreiundvierzig Frauen aus königlichem Geschlecht gewählt. Ihre Blutlinien waren es, die ihren Kindern die Autorität verliehen, vor dem Staatsrat und dem Gericht Städte und Dörfer zu repräsentieren. Die Bildung, für die sie der Vater weit in die Welt hinaus schickte, verlieh ihnen das Mandat. Er wusste, dass nicht nur er, sondern auch seine Kinder die alten Gebräuche neben den neuen beherrschen mussten, doch in der kurzen Zeitspanne zwischen dem Tod und dem Eingang ins Asamandeefoo, ins Land der Ahnen, hatte sich das Schicksal seiner Pläne bemächtigt, und nun sah es so aus, als sei es an uns – uns allen –, sie neu auszurichten. Meine Mutter empfand, sie habe versagt – nicht nur ihm gegenüber, sondern auch vor der Aufgabe, die sie durch ihre Herkunft hatte. In jeder Generation unserer Familie gab es immer einen, der auserwählt war, Wissen von den frühesten Epochen zu besitzen, zu sehen, was andere nicht sehen konnten: ein nyame akwadaa, ein Gotteskind, das das Flüstern des Universums deutlicher hören konnte als den Lärm der Welt ringsum, deutlicher als die Stimme der Ahnen oder sogar der Geschichte — Oforiatta Ayim, Nana. „Wir Gotteskinder.“ Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, 2020-12-18T11:41:03Z, p. 161— 



»David hat für Michael einige Verbindungen spielen lassen, um ihm eine Diamantenkonzession in Upper East zu verschaffen.« »Du meinst die Verbindungen seines Vaters? Nennt man das nicht Korruption?« »Ich denke, das nennt man, das Beste aus deinen Möglichkeiten machen, Süße, und es ist ein universelles Phänomen. Außerdem macht hier keiner genug.« — Oforiatta Ayim, Nana. „Wir Gotteskinder.“ Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, 2020-12-18T11:41:03Z, p. 132



🌍


* Wie es scheint, ist inzwischen in der App “Bluefirereader”, die ich zum Lesen geliehener digitaler Bücher nutze, eine Zitierfunktion fest integriert, die es erlaubt, Zitate unter schon zugefügter Zitierstelle zu extrahieren und anderswo einzufügen.. Was mich freut. Abschreiben ist ja doch zweilen etwas mühsam und Screenshots stören das Beitragsbild


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen