“Das Männchen der Schwarzen Witwe fesselt seine Partnerin vor dem Liebesspiel; doch sie ist stark, und wehe, sie befreit sich vor der Zeit. Andere bringen sorgsam in Spinnenseide verpackte Geschenke, um sich von hinten zu nähern, während sie sich darüber hermacht, oder warten den Moment der Häutung ab, um ihre nackte Wehrlosigkeit auszunutzen. Gewisse Spinnenmännchen zupfen zart an den Signalfäden, an denen das Weibchen nach Beute horcht, eine wundersame Melodie, um sie herauszulocken. Sie tun alles, um die Spinne davon zu überzeugen, dass es noch ein anderes Glück gibt.
Und manchmal ist die Verzauberung so groß, dass das Weibchen, bei noch halb geschlossenen Lidern, so lang den Faden verliert, dass der Liebhaber nach dem Akt unversehrt und unverzehrt entkommen kann. Doch oft genug geht es schief, und gar nicht selten misslingt schon die Annäherung, sodass der Spinnenmann gelähmt, betäubt und ausgesaugt wird, bevor er nur sein Anliegen vortragen konnte. Dieses Wunder, meine Freunde, heißt Liebe, und was wäre romantischer als die Bedingungslosigkeit, mit der das Spinnenmännchen seine schlimmste Fressfeindin begehrt und, aller Gefahr trotzend, sich nähert, bebend vor Lust und zitternd vor Furcht, um eines einzigen Glücksmomentes willen – und ach, wissen wir denn, ob sie ihren Lover nicht unter Tränen fraß, der bitteren Notwendigkeit folgend, dass eine werdende Spinnenmutter keine Eiweißration zu verschenken hat? Vielleicht gelobt sie sich, seine Innereien schlürfend, ihn nie zu vergessen. – Dass Liebe verzehrend sein kann, dass Anziehung und Aggression Schwestern sind, dass sich zu ficken und sich zu fressen nur einen Wimpernschlag auseinanderliegen können; diese erregende Spannung kulminiert in der tragisch-erotischen Gestalt der Schwarzen Witwe. — “
Schalansky, Judith. „Verrufene Tiere.“ Matthes & Seitz Berlin Verlag, 2023, p. 49
Nichts prägt die menschliche Einstellung zu Geiern mehr als ihre Ernährungsweise. Geier sind im Wesentlichen und vor allem Aasfresser. Bei der Verwertung von Kadavern betreiben die vier in Europa vorkommenden Geierarten eine effektive Arbeitsteilung. Stellte man sich Mönchsgeier, Gänsegeier, Bartgeier und Schmutzgeier bei einem gemeinsamen Festmahl an einem üppigen Aas vor – in der Realität ein seltener, aber nicht ausgeschlossener Fall –, könnte man ihre Unterschiede in Größe, Körperkraft und Ernährungsspezialisierung an der Abfolge des Vortretens ablesen. Die Mönchsgeier beginnen damit, vom Fleisch des Kadavers zu fressen. Dann kümmern sich die etwas kleineren Gänsegeier vornehmlich um die Innereien, indem sie die Bauchdecke aufreißen oder in bereits vorhandene Körperöffnungen eindringen, mit Vorliebe in den Anus. Damit andere ihm nichts wegfressen, hackt und schlingt der Geier in größter Eile; bis zum Kragen verschwindet er dabei im Bauchraum der Leiche. Kommt er wieder hervor, sind Kopf und Hals von Blut und Exkrementen bedeckt. Ihre Wänste sind dann vollgestopft bis an die Grenze der Flugfähigkeit; anderthalb Kilogramm Leichenfleisch und Gedärm kann der Gänsegeier in seinem Kropf wegschleppen. Dass die körperlich überlegenen Bartgeier sich nicht vordrängen, liegt an ihrer Vorliebe für Knochen. Sie können erstaunlich große Bruchstücke ohne Weiteres verschlucken. Für noch größere Knochen hat der Bartgeier eine besondere Technik entwickelt: Er lässt sie aus bis zu siebzig oder achtzig Metern Höhe auf Felsen fallen, bis sie zerbrechen und ihr Knochenmark preisgeben. Dafür muss er das Aufsteigen und Fallenlassen ein Dutzend Mal und öfter wiederholen. Der Bartgeier ergreift auch lebende Schildkröten (von ›Jagen‹ sollte man nicht sprechen, eher von ›Einsammeln‹, denn er bevorzugt sie offenbar wegen ihrer Langsamkeit). Auch sie lässt er aus der Höhe hinunterstürzen, immer wieder, bis ihr Panzer zerplatzt. Sollte stimmen, was vom unglücklichen Tod des Tragödiendichters Aischylos erzählt wird – er soll von einer Schildkröte erschlagen worden sein, die ein Raubvogel im Flug hatte fallen lassen –, dürfte ein Bartgeier dafür verantwortlich gewesen sein. Wenn aber nun Fleisch, Innereien, Haut und Knochen vertilgt sind, bleibt denn dann noch etwas für den kleinsten der vier, den Schmutzgeier? Durchaus, denn der kann fast alles Organische verwerten, auch solches, wogegen frisches Aas noch als Delikatesse anzusehen ist. Das Spektrum des Genießbaren hat er bis hin zu Kot und blutgetränktem Sand erweitert. Überhaupt frisst er Abfälle aller Art und hält sich daher gerne in der Nähe von Menschen auf. — Schalansky, Judith. „Verrufene Tiere.“ Matthes & Seitz Berlin Verlag, 2023, p. 101.
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Die Zahl der Todesopfer nach Wespenstichen ist vergleichsweise klein, bedenkt man, wie häufig solche Stiche vorkommen. Verglichen mit Quallen oder Schlangen sind Wespen keine profilierten Killer. Ein Wespenstich bedeutet gewöhnlich viel Schmerz um nichts und hat doch einen deutlichen Zweck, selbst wenn die Angreiferin selbst nicht überlebt: Dass du ewig denkst an mich. Und wir haben alle die Lektion gelernt. Jeder Wespenstich dient der kollektiven Erziehung der Warmblütler, auf dass sie Trägerinnen der schwarz-gelben Warnwesten jederzeit mit Respekt begegnen…
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Wespen sind Mütter. Und doch fehlt ihnen alles, was Menschen sich reflexhaft als mütterlich zu benennen angewöhnt haben. Männlichen Tieren, den Drohnen, gehört beileibe nicht die Hälfte des Himmels. Sie tragen nichts zum Gelingen des Staats bei. Man traut ihnen nicht zu, eine halbwegs gerade Zellenwand zu bauen, für das Wenden und Befächeln der Eier gelten sie als zu ungeschickt, an die Kinder lässt man sie gar nicht erst heran. Teilweise können sie sich nicht einmal selbst ernähren. Sie sind fliegende Samenvorräte, genau das und nicht mehr, und ihre Aufgabe ist die Bereitstellung und Distribution von Erbanlagen. Nur dafür und auch nur bis zur Erfüllung dieser Aufgabe schleppt der Wespenstaat sie augenrollend mit durch. Mit ihnen kopulieren darf eh nur die junge Königin eines Nachbarstaates, schließlich sind sie ja Klone der Königin und hätten im Heimatstaat an Erbgut ohnehin nichts Eigenes beizusteuern. — Schalansky, Judith. „Verrufene Tiere.“ Matthes & Seitz Berlin Verlag, 2023, p. 135
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Ferdinand Magellan ließ 1521 ein siebenhundert Meter langes Seil flechten und in die Fluten des Pazifik hinabrollen. Es traf nicht auf Grund. Weil Magellan kein längeres Seil mehr hatte, erklärte er den Ozean für unendlich tief — Schalansky, Judith. „Verrufene Tiere.“ Matthes & Seitz Berlin Verlag, 2023, p. 143
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