Mittwoch, 18. Juni 2025

Monika Geier, Alles so hell da vorn (Krimi)


Harte Themen, die Monika Geier da anpackt: Kinderprostitution in Verbindung mit Menschenhandel, Verwicklung der Behörden, pädophile (Macht)Phantasien des “ganz normalnetten Kollegen” und einige “Nebenthemen” wie z.B. dörfliches Rudeldenken.  Drastisch und eindringlich in individuellem Schreibstil geschildert. 

Emotionale und analytisch-berufskalte, beruflich belastende und privat-konfliktbehaftete Welten fließen mal ineinander, dann wieder klaffen sie meilenweit auseinander. Hier sah ich ein bewusst gestaltetes aber unausgesprochen gebliebenes nur atmosphärisch mitlaufendes Nebenthema. Atmosphärisch starke Ausprägungen.

Die Charaktere unterschiedlich gut und schlüssig gestaltet. Einige nachdrücklich, andere unklar bis unglaubwürdig.  Eine klitzekleine Kleinigkeit hat mich gleich anfangs irritiert: da spricht ein Kriminalbeamter eins der Mädchen / jungen Frauen ernsthaft mit dem Titel “Fräulein” an. Er ist zwar älteren Jahrgangs aber - ich habe nachgeschaut; wie schon häufiger gesagt: kein Buch, in dem nicht Seitenaspekte mich zum Nachforschen animieren - die Ansprache “Fräulein” wurde 1972 - also zwei Jahre nach der Geburt der pfälzischen Autorin Monika Geier - offiziell aus der Deutschen Amtssprache gestrichen.

Persönlich erinnere ich mich an einen sehr konservativen Prof. des germanistischen Instituts in Münster, der die Studentinnen Anfang der Achtziger noch so betitelte und dafür mehrfach von diesen kritisiert wurde. In der Jetztzeit, in der der Krimi spielt, sollte es aber selbst der dienstälteste Behördenmensch der Pfalz nicht mehr im Sprachfundus haben.

Es gibt eine inhaltlich sich durchziehende Wendung, die ich tricky fand. Hier aber nicht ausführen werde, da nicht ohne Spoilern möglich 😉

Das Buch wurde beim Deutschen Krimipreis zweitplatziert.


🏚️

Samstag, 14. Juni 2025

James M. Barrie, Peter Pan


Gefiltert  hatte ich nach einem recht kurzen  und in der Onleihe gut bewerteten Hörbuch, das die Vorbereitung des Konfitürekochens unterhaltend begleiten sollte.. Gefunden und mich entschieden habe ich für diese prämierte Version von Peter Pan. Kinderbuch-Bildungslücke (ich kannte bisher die Story nichtmal im Groben) schließen. Ist gelungen - jetzt kenne ich sie. Schockschwerenot!

Erstmals erschien die Figur Peter Pans 1906 in einer Vorläuferversion “The little white bird” und war für Erwachsene geschrieben, wurde  schnell als Bühnenstück adaptiert - das heute unter dem Namen “Peter Pan” bekannt und als Kinderstück verbreitet ist. Früher empfohlen “ab 14”, ist die Altersempfehlung inzwischen auf “ab 8” abgesenkt worden und ich würde behaupten: für heutige Hörbuch-gewohnte Kids ist es sicher immer noch unterhaltsam und charmant aber vom Gruselfaktor her eher “Baby”. 

Wobei die “verlorenen Kinder”, elternlos und nur von Peter Pan und Tinkerbell vor den vielen Gefahren beschützt,  vermutlich doch noch ans Herz gehen. Persönlich gefiel mir in erster Linie der Gedanke, dass  beim Prozess des Erwachsen-Werdens viele Fähigkeiten und Möglichkeiten verloren gehen und dies vielleicht verhindert werden kann, wenn Kinder nur so tun, als würden sie erwachsen, sich dem innerlich aber verweigern und im Herzen Kinder bleiben. 

Schreibtechnisch originell der “Kunstgriff”, dass die Figuren - reale Kinder im Londoner Kinderzimmer auf der einen und auf der anderen Seite die Bewohner Neverlands - quasi “sich gegenseitig erschaffen” bzw.  lebendig werden durch die Erzählungen. PeterPan lauscht neugierig am Fenster, wie Wendy ihren Brüdern Geschichten über ihn erzählt, die er dann wiederum “seinen” Schutzbefohlenen in Neverland wiedererzählt. So erfahren die Protagonisten des Niemandlandes über das Erzählen der Menschen ihr Dasein.

Was, das ich vorher nicht wusste, habe ich außerdem noch erfahren? (Kaum ein (Hör)Buch, das mich nicht zur weiteren Recherche irgendeiner Art anregt) -> Michael Jacksons Ranch “Neverland” wurde nach diesem Land der verlorenen Kinder, die niemals erwachsen werden, aus der Geschichte Peter Pan so benannt.

Es gibt ein Peter Pan-Syndrom. Meiner Einschätzung nach mehrheitlich unter Männern ziemlich verbreitet 😜


🧚🏻‍♂️ 🏴‍☠️ 🧙🏻




Freitag, 13. Juni 2025

Anselm Grün, Meine Musik-Rituale


Zufällig digital reingestolpert und hängen geblieben weil das Thema Musik momentan etwas Raum bei mir einnimmt, wäre ich fast über den  missionarischen Predigtstil im zweifelsfreien “das ist die einzig reine Wahrheit”-Modus gleich wieder rausgestolpert. 

In der Arie »Tief gebückt und voller Reue« singt die Sopranistin von ihrer Schuld. Aber sie beschimpft sich nicht selbst. Sie legt sich einfach vor Gott nieder. Sie gibt alle Selbstrechtfertigungsversuche auf und ergibt sich in ihrer Ohnmacht vor Gott. Aber sie verliert dabei nicht ihre Selbstachtung. Die Musik drückt das Vertrauen in Gottes Geduld aus. Immer wieder singt die Sängerin von der Geduld, die Gott mit ihr hat. Das Wissen um die Geduld Gottes erfüllt sie mit Vertrauen. Sie gesteht die Schuld ein. — Grün, Anselm. „Meine Musik-Rituale.“ BÃrenreiter-Verlag, p. 36

Sträubte ich mich anfangs noch, in ein allumfassendes “wir” ungefragt dazugepackt zu werden und wehrte ich mich vehement gegen die salbungsvolle Verkündung dessen, was “uns” zu Wahrheit und Heilung bringt und dergleichen mehr … las ich trotz allem weiter denn inhaltlich wurden einige für mich durchaus spannende Appetithäppchen dargeboten. Sisyphos hat in Offenbachs “Orpheus und Eurydike” vor Faszination über die Musik damit aufgehört, den Felsen zu rollen und sich draufgesetzt … kannte ich noch nicht … wie schön ist das denn als Stilmittel? Gleich mal reinhören:


Viele Anregungen, viel dazugelernt zu früheren Weltklassetenören (Fritz Wunderlich) und was ist überhaupt ein lyrischer Tenor und wer ist jetzt ein berühmter lebender solcher … (Juan Diego Flórez) und wo singt/spielt wer wann und wo auf etc. Wohlgemerkt: davon steht im Buch im Grunde nix drin. Das war dann immer “Nebenausbeute” beim Hinterherrecherchieren. Konkret im Buch werden folgende Stücke erwähnt bzw. mit diesen setzt sich der Autor im Zusammenhang mit seinen eigenen Ritualen auseinander bzw. erlangten sie spezielle Bedeutung für ihn:

Der Predigttonus wird mir immer egaler; ich kann genauso darüber hinwegsehen, wie ich es als Kind in der Kirche konnte, wo der Dekan der Ortspfarrei - noch real von der Kanzel herab - an manchen Sonntagen bis zu einer Stunde lang predigte und ich - schon damals als “etwas seltsam” eingestuft -  häufig meinen Gefallen daran fand. JA! Ich habe meistens zu.ge.hört. Gerne! Bin innerlich mitgegangen. Habe versucht, mir alles zu merken. Denn auch damals waren viel Wissensbausteine in den Predigten enthalten, die - lange ohne Fernsehen aufwachsend und die max. zwanzig häuslichen Bücher hatten auch eher andere Themen (Imkerei z. B. und katholische Erziehungsratgeber …) - mir neue Inhalte eröffneten. Wissensbruchstücke, Anregungen zum Nachdenken und damit Auseinandersetzen. 

Also … mich schaudert es, wenn ich sowas über lange Strecken höre oder lese …und sowas liest man im Buch reichlich, ausführlich und lange.  Bin ich da seltsam?:

Gott ist in Jesus auch in die Tiefen meiner Seele vorgedrungen …. . Und Weihnachten bedeutet, dass auch wir den Mut finden, in die Tiefen unserer Seele hinabzusteigen, gemeinsam mit Jesus, damit alles in uns von seinem Licht erleuchtet und verwandelt wird. — Grün, Anselm. „Meine Musik-Rituale.“ Bärenreiter-Verlag p. 103

Schon damals - ich erinnere mich genau - störte ich mich - obwohl damit aufgewachsen - immer mehr am fehlenden … Zweifel … und dem Absolutheitsanspruch der missionarischen Verkündungsabsichten (kann ja jeder halten, wie er mag aber alle zu vereinnahmen müsste nicht sein …) Doch das konnte ich ausblenden wenn die Anteile überwogen, die Interesse weckten, neugierig machten und unterhielten. Diese Ausblend-Fähigkeit kam mir nun zugute. 

Im Buch fand sich für mich Neues, das mich freute. Es werden zu allen behandelten Kapiteln - die Struktur und der Aufbau sind allerdings ziemlich originell - konkrete Stücke genannt, besprochen und ausführlich vorgestellt. Parallel hörte ich Musik, Musik, Musik … unterschiedliche Stücke …  nahm das Lesen als eine Art Gedanken-Absprungrampe zum geistigen  Solo des Hölzken-Stöksken-Spiels. Vom Einen zum Nächsten jenseits der Buchinhalte. 

Fand heraus, dass Apple eine eigene Klassik-App bietet (die Nutzung ist im AppleMusik-Abo, das ich habe, enthalten). Es wurde für mich ein einziges  Eintauchen ins Becken der wabernden Ideen mit Sprung vom Drei-Meter-Brett statt immer nur vom Beckenrand zu hüpfen und an der Oberfläche rumzudümpeln. 

Und irgendwann fand ich auch die Texte im Buch nicht mehr nur nervig sondern Stellen, die mich ansprachen und inspirierten.

Trauen Sie dem eigenen Hören und den eigenen Erfahrungen, die Sie beim Hören machen. Hören Sie nicht nur mit den Ohren, sondern mit Ihrem Herzen. Und achten Sie dann auf die Gefühle, die in Ihrem Herzen aufsteigen. Die Gefühle haben immer recht. Es sind Ihre Gefühle. Sie wollen Ihnen etwas Wichtiges über Sie sagen. — Grün, Anselm. „Meine Musik-Rituale.“ BÃrenreiter-Verlag,


Traf  beim Rumsuchen auch sogar auf Stücke mit Orgel, die mir gut gefielen und das,  obwohl Orgel und ich eher selten zusammengehen und nicht gut miteinander können.


Kurz blitzte mir ein Gedanke auf, der mir in früheren Jahren in Bezug aufs Laufen immer mal wieder kam: “Wieso bin ich nicht früher im Leben darauf gestoßen und habe gemerkt, wie toll es ist?!” So ging es mir nun auch mit der Musik, die in meinem Leben insgesamt keine große Rolle spielte und die Entwicklung der Klassik-Liebe startete - anfangs zart und zögerlich - erst vor weniger als zwanzig Jahren.


Andererseits gilt hier ganz sicher die gute alte Platitüde: “Besser spät als nie!” Nicht hadern, dass so spät; dankbar bin ich - in Bezug auf beide “Leidenschaften”, dass sie überhaupt in mein Leben kamen-Amen.


Selten hat ein Buch, dessen Schreibstil mich zunächst hat schaudern lassen und mir auch immer noch im Großen und Ganzen diametral zuwiderläuft, mich gleichzeitig so inspiriert und animiert. Hätten nicht alle mich akut interessierenden Aufführungen von Konzerten und Theaterstücken, auf die ich beim MusikSurfen gestoßen bin, ausgerechnet zu Zeiten stattgefunden, die im persönlichen Kalender schon belegt waren … ich glaube, ich hätte mir die kommenden Monate mit Flügen,  Fahrten und Urlaubsbruchstücken voller Klassik zugeballert  und das Konto dafür leergeräumt 😅


Nur so als Nachtrag … war eine “Nebenausbeute” und der Anfang ist auch für Fußballbanausen nett:






🎶  🪉  🎼

Dienstag, 10. Juni 2025

Nele Pollatschek, Kleine Probleme

Obwohl es hier und da echt weh tat (vielleicht auch deshalb, weil ich mich streckenweise ein bisschen ertappt fühlte ;)  hat es wirklich richtig viel Spaß gemacht, dieses Buch  zu lesen. Wollte man das Thema mit einem Wort auf einen Punkt bringen, was eigentlich unmöglich ist, käme dafür “Prokrastination” in Frage. 

Es spielt mit den auch stark wechselnden Leseremotionen von Belustigung über emotionales Mitgehen, inneres Gequält- aber auch heftigem Gerührtsein und immer auch Neugierde darüber, wie es weitergehen mag. Einordnen finde ich schwierig weil ich diesbezüglich der Rezension im “TipBerlin” zustimmen möchte:

“Ihr Roman steht wunderbar neben den Trends. Er ist keine autofiktionale Selbstbespiegelung, keine leitartikelhafte Relevanz-Huberei. Und doch sowas von hier und jetzt.”

Ich weiß gar nicht so genau, was ich darüber noch erzählen könnte und spoilern wäre dem Lesespaß vermutlich ziemlich abträglich. Vielleicht nützt es - bei Interesse - die beiden im Titel und im Text verlinkten Rezensionsseiten durchzugucken.

Keine Ahnung mehr, wie es auf meiner digitalen Onleihe-Merkliste gelandet ist. Aber gut, dass es das ist. Ich glaube, ohne hätte ich was vermisst, ohne es gewusst zu haben ;)

Ein Hauch Zitate:

…”du solltest echt mal lernen, Ordnung zu halten”, und ich sagte, dass ich nicht mal im Ansatz wüsste, was das überhaupt bedeuten solle, Ordnung halten, einen schweren Stapel Bücher könne man halten, einen Hund oder meinetwegen ein Fahrzeug, manchmal besser den Mund, aber Ordnung, die rinnt einem doch sofort durch die Finger. — Pollatschek, Nele. „Kleine Probleme.“ Kiepenheuer & Witsch eBook, p. 37


Wenn ich die Wahl gehabt hätte, ich hätte mich auch verlassen, nur ich habe die Wahl eben nicht. Überall heißt es, man solle toxische Beziehungen beenden, aber wie ich mich von mir selbst trenne, das hat mir wirklich noch keiner erklärt. Und dabei hätte ich wirklich jede Illustrierte gekauft, die mir das verspricht: So werden Sie sich los in fünf einfachen Schritten oder Wie Sie ohne sich glücklich werden oder So schaffen Sie den Absprung von sich selbst oder Schöner Wohnen ohne mich. Nur das gibt es ja alles nicht. — Pollatschek, Nele. „Kleine Probleme.“ Kiepenheuer & Witsch eBook, p. 82

Und der Klappentext:



🍜


Freitag, 6. Juni 2025

Karsten Dusse, Achtsam morden durch bewusste Ernährung


Es war mein drittes Buch - die beiden letzten Male waren es  vom Autor selber gelesene  Hörbücher -  aus der Reihe “Achtsam morden”. Das erste - damals wirklich innovativ - fand ich super und hab’s auch gekauft. Das zweite eher lahm und mit viel Wiederholeffekt-Klamauk der oberflächlichen Art, lieh ich mir dieses wegen des Themas, der guten Bewertung in der Onleihe (ich konnte mir nicht verkneifen, mich im Nachhinein auf der Webseite der Münchner Onleihe anzumelden weil man nur dort sehen kann, wie viele Bewertungen abgegeben wurden. Es war in diesem Fall genau eine; also von jemandem mit anderen Geschmack oder Erstbedarf an Ernährungsumstellungswissen  ;) und auch, weil ich für einige Fahrten was auf die Ohren brauchte.

Langer Rede kurzer Sinn: ich fand’s schrecklich! Nicht, weil die Ernährungsberatung - und dieses Thema stand in gestellter Dialogform zwischen Autor und Achtsamkeitstherapeut im Vordergrund - grobe Fehler aufgewiesen hätte. Das war soweit nach noch kürzlichem Forschungsstand ziemlich ausführlich und ok. (Kleinigkeiten wurden inzwischen durch wiederum noch neuere Forschungen etwas modifiziert - aber das ist ja immer so). 

Über lange Kapitel breitet der Autor - aufgehängt an eine reichlich konstruierte und dann auch noch Logikmängel aufweisende Krimiepisode um die Entführung seiner Tochter, seine aus dem Lot geratene eigene Figur, Klimaaktivsten, die eigene Marihuanaplantage  und ein Schlachthausimperium - ausführlich den aktuellen Stand des Ernährungswissens aus. Wer das als Motivationshilfe will und braucht, bekommt durchaus hilfreiche Infos. Aber ich hatte mir hier einen Krimi bzw. eine Krimödie ausleihen wollen und dummerweise kenne ich alles in allen Annahmevarianten, Studienfeinheiten in puncto Ernährung in über den Buchinhalt hinausgehender Tiefe. Dieser Inhaltspart - und es ist der umfangreichste - war also mal so richtig laaaangweilig für mich und dann auch noch in - fand ich jedenfalls - klugscheisserisch-besserwisserischer Manier oft im Kindergarten-Modus vorgetragen. So mehr für Dummies.

Der dazu konstruierte Krimianteil eher lieblos, wenig ausgefeilt und nichtmal witzig - irgendwann bei der x-ten Wiederholung bekommt der Kalauer-Vorratssack vermutlich Löcher -  drumherumgestrickt. Hab’s trotzdem - die allzu ausführlichen Inhalte über Kohlehydrate, Eiweiße, Fette, Wirkmechanismen von Heilfasten und Ernährungstagebüchern vorspulend und damit zeitlich ordentlich abkürzend - bis zum Ende gehört und beschlossen: drei davon waren wirklich mehr als genug für mich. Die Bewertungen auf Krimi-Couch waren denn auch eher meiner Ansicht. Hätte ich mal vorher reinlesen sollen.


🍽️

Donnerstag, 5. Juni 2025

Rainer Maria Rilke, Glück


Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang — Grafe, Arne. „Glück.“ Insel Verlag, 2015, p. 8

Solche Zitate gefallen mir persönlich ja oft am besten 😜

Von Rilke kenne ich vergleichsweise wenig. Manchmal mochte ich die eher zufällig aufgestöberten und meist nur angelesenen Sachen, oft nicht so. Dieses digitale Buch wurde mir irgendwann als “zuletzt zurückgegeben” und außerdem mit 5*-Bewertung in der Onleihe angezeigt - hübsches Cover mit zerbrechlich-graziler blauer Blume passend gestaltet - und so kam mir der Gedanke: 

“Als früher ziemlich auf Klassische Literatur abfahrende Leserin mit etwas verlorener Verbindung zu diesem Metier könntest du dir dieses thematisch sicher nett aufbereitete Büchlein doch einfach mal geben anstatt fast nur noch in den Neuerscheinungen rumzulesen.”

Gleich mal passend einen Auszug aus dem Buch eingestreut (wenn auch inhaltlich persönlich in Zweifel gezogen):

Man muß nie verzweifeln, wenn einem etwas verloren geht, ein Mensch oder eine Freude oder ein Glück; es kommt alles noch herrlicher wieder. Was abfallen muß, fällt ab; was zu uns gehört, bleibt uns, denn es geht alles nach Gesetzen vor sich, die größer als unsere Einsicht sind und mit denen wir nur scheinbar im Widerspruch stehen. Man muß in sich selber leben und an das ganze Leben denken, an alle seine Millionen Möglichkeiten, Weiten und Zukünfte, denen gegenüber es nichts Vergangenes und Verlorenes gibt. – Rilke an Friedrich Westhoff, 29. ‌4. ‌1904, Briefe 1, 71-74 — Grafe, Arne. „Glück.“ Insel Verlag, 2015, p. 56-57

Gesagt, geliehen, gelesen .. und joo … wie früher eben: manches mochte ich, vieles fand ich langweilig. Rilkes Sprache geht oft irgendwie an mir vorbei oder besser durch mich durch .. weil für mich nicht eingängig. Ohne nennenswerten Hängenbleibeffekt. Ein paar der Stücke allerdings - und da liegt mir die Lyrik deutlich mehr - fand ich sogar arg nice ;)






🌊⛵️


Montag, 2. Juni 2025

Tatjana Kruse, Es gibt ein Sterben nach dem Tod


“Krimödien” sind ja im Moment ziemlich im Trend und sind auch eine ganz nette Schnell-nebenbei-Unterhaltung, finde ich.

Diese habe ich mir bewusst gesucht weil Autorinnen in diesem Genre nicht ganz so dicht gesät sind wie ihre männlichen Kollegen und ich gucken wollte, ob es da “typische Unterschiede” gibt.

Fazit: nö, eher nicht. Gleiches Prinzip mit nur umgekehrten Protagonistinnen-Charakteren. Diese oft natürlich überzeichnet - sonst funktioniert das Genre wohl nicht. In diesem Fall mir persönlich manchmal zu albern. Aber auch das ist ein häufiges Phänomen bei “lustig-lustig”-Büchern, dass der vorhandene Slapstick über auch - für mich persönlich - gefühlt zu lange Strecken in Albernheiten abgleitet.

Die Idee, eine Ermordete als Geist ihren eigenen Mord aufklären zu lassen, ist allerdings charmant und auch genauso umgesetzt. Lässt sich zur Entspannung mitnehmen.

Bevor ich womöglich Gefahr laufe, Inhalte anzureissen, hier der offizielle Klappentext:




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Sonntag, 1. Juni 2025

Ahmad Katlesh, Vanessa Vu; Komm dahin, wo es still ist

Das Buch enthält persönliche aber auch analytisch-erzählend-annähernde Auszüge aus dem Briefwechsel eines einerseits extrem unterschiedlichen Paares, das andererseits viele Gemeinsamkeiten miteinander teilt: Fluchthintergründe aus unterschiedlichen Gesellschaften in anderen Generationen. Aufwachsen ohne Verwurzelung und Sicherheit, erzwungene Eigenständigkeit weit über das gesellschaftliche “Normalmaß” hinaus.

Mir persönlich waren die Aspekte am faszinierendsten, wie es ein Paar ohne gemeinsame Hauptsprache schafft, derartig auch emotionale, lebensbedeutende und Differenzen überwindende Aspekte auf einer emotional tief gehenden achtungsvollen Sprachebene zu behandeln - und dabei auch Übersetzungsprogramme und KI zum Einsatz kommen.

Der zweite mir nahe gehende Punkt waren die vielen Welten, Gesellschaften und Lebensformen, die immer auch parallel nebeneinander stattfinden. Neben mir stattgefunden haben; zeitweise sogar mit faktischen Berührungspunkten der etwas stärkeren Art, die trotzdem nicht automatisch zum umfassenden Verständnis und füreinander und gegenseitigen Sehen und Begreifen auf beiden Seiten geführt haben. Manchmal sogar fast im Gegenteil.

Diese Thematiken waren es, die sich mir - auch persönlich - auftaten:

  • Heimat / Verwurzelung (bzw. das Fehlen davon)
  • Familien(ver)bindungen, -dynamiken
  • Stellenwert gemeinsamer Erinnerungen
  • Bedeutung der Sprache in der Liebe
  • Erwartungen an (andere) Gesellschaften / Gesellschaftsformen
  • (überzogene?) Hoffnungen auf Mitmenschlichkeit
  • Menschsein überhaupt und ansich
  • Bildung von Gruppen( -denken, -regeln …)  und Abgrenzungsverhalten
  • ……
Wie meistens auch diesmal einige Zitate daraus:

Alle persönlichen Kriege, die wir durchlebt haben oder die ich durchlebt habe, gaben mir zwar mehr Stärke, nahmen mir aber auch Empathie für die Verluste anderer. Lass mich dir ein Beispiel geben: Es macht mich nervös, wenn mich ein enger Freund anruft und mir mitteilt, seine Mutter, sein Vater, seine Schwester oder sein Bruder sei gestorben, und darauf eine emotionale Reaktion erwartet. Ich habe nämlich kein Problem mit der Vorstellung vom Tod, weder philosophisch noch psychisch. Was der Krieg mich gelehrt hat, ist, mich mit dem Tod, mit meinem und dem der anderen, zu versöhnen. Jede Nacht gingen wir in einen Keller, den wir als Bunker nutzten. Wenn die abendlichen Bombardierungen aufhörten, gingen wir schlafen und am nächsten Tag begruben wir die, die in der Nacht getötet wurden. Wir setzten unseren Alltag fort und abends, bevor der Beschuss wieder losging, sangen wir und improvisierten aus einfachen Zutaten wie Linsen und Bulgur irgendwelche Süßspeisen. -— Katlesh, Ahmad. „Komm dahin, wo es still ist.“ Rowohlt E-Book, p. 39

… meine Oma in Vietnam starb …. Ich habe sie nie in meinem Leben gesehen und sollte sie auch jetzt nicht sehen. Nicht in meinen Träumen, nicht als Geist, einfach gar nicht. Unsere Familiengeschichte hatte uns noch vor meiner Geburt auseinandergerissen und ich hatte nichts von ihr, in keiner Gestalt. Trotzdem hinterließ sie ein Loch. Ich kann es nicht genauer beschreiben oder lokalisieren. Ich weiß nur: In diesem Loch sind sie und so viele andere Personen und Geschichten, und ich habe keinen Zugang zu ihnen. Während also alle so andächtig mit ihren Räucherstäbchen am Grab standen, folgten meine Augen nur den Rauchschwaden ins Nichts. Ich starrte ins Leere, bis ich gar nichts mehr sah und irgendwer mir einen Hinweis gab, dass wir zurückgehen sollten. Ich denke oft an die Szene, sie kommt mir immer wieder, aber ich weiß nicht, warum und wohin damit.Man kann in der Leere keine Ordnung schaffen. Man kann eine echte Ordnung nur schaffen, wenn es sie schon vorher gab, wenn man an etwas anknüpfen kann, wenn man einordnen kann. Alles andere ist ein Herumtasten, ein Neuaufbau, der keinen Regeln folgen muss als jenen, die man in dem Prozess schafft. — Katlesh, Ahmad. „Komm dahin, wo es still ist.“ Rowohlt E-Book, p. 88

Flucht und Migration, das wurde mir in den Wochen und Monaten darauf einmal mehr klar, sind mehr als eine Bewegung von einem Land ins andere. Sie sind brutale Brüche mit der eigenen Biografie, mit der eigenen Familie, mit der eigenen Identität. Der Körper scheint in Sicherheit, aber es gibt mehr als körperliche Verletzungen. Es gibt Wunden, die sich schwer begreifen lassen, wenn man sie nicht selbst in sich trägt. Wunden, die bis in die nächsten Generationen wirken. Ich glaube nicht, dass Zeit alle Wunden heilt. — Katlesh, Ahmad. „Komm dahin, wo es still ist.“ Rowohlt E-Book, p. 124


Ich möchte dir nur sagen, dass ich bei dir bin, auch wenn ich es vielleicht nicht auf die Weise bin, die du dir wünschst. Dass meine Stille keine Distanz ist, sondern eine Einladung. Dass auch du dahin kommen kannst, wo es still ist. Dass du das darfst. Dass du nicht durchatmen musst, sondern durchatmen darfst. — Katlesh, Ahmad. „Komm dahin, wo es still ist.“ Rowohlt E-Book, p. 148


Ich bin gerade nicht gern ein Mensch, wenn der Mensch das Gegenstück zur Natur sein soll …. Ich habe keine Energie mehr, um meine oder anderer Menschen Menschlichkeit zu beweisen. Ich weiß nicht, was ich noch sagen und schreiben kann. Wie konnten wir wieder an den Punkt gelangen, an dem die Existenz von Menschenleben, die uns anders erscheinen, verhandelbar ist?… 

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Ich öffnete mich – weil ich dachte, dass sich die Gesellschaft mir öffnete. War das ein Irrglaube?


🇸🇾🇩🇪🇻🇳